
Du fühlst dich angesprochen? Gut! Denn beinahe alle Frauen, mit denen ich mich über die Jahre hinweg übers Berufsleben unterhalten haben, berichten davon, "zu gutmütig" zu sein. Die Standard-Story sieht in etwa so aus:
Frau, bestens ausgebildet, mehrjährige Berufserfahrung, mehr als qualifiziert, zuverlässig sowieso und Retterin, wenn grad das Vollchaos ausbricht. Der eigene Anspruch an sich selbst: Ich kann alles und das beweise ich euch auch. Ich rette die Situation, selbst wenn es nicht - überhaupt nicht - in mein Aufgabengebiet fällt! >>Kannst du machen, interessiert halt keinen!<< Und obendrein blöd, dass dafür jetzt deine Arbeit liegengeblieben ist, du das irgendwie noch zusammenschusterst und viel zu spät und abgenervt nachhause kommst. Schöner Feierabend. Dein Partner weiß deinen angefressenen Gesichtsausdruck bestimmt zu schätzen. Und dein Vorgesetzter sicher auch, wenn er merkt, dass du deine Ressourcen für abteilungsferne Aufgaben eingesetzt hast. Und so kommt's, dass du dich sowas von reinhängst. Du arbeitest wie eine Maschine und regelst dies und das und organisierst was das Zeug hält und nimmst jedem rundherum alles ab, weil du das doch viel besser kannst!
Und huch, vor lauter schaffen, fast nicht bemerkt, dass genau vor deinen Augen ein Mann nach dem anderen die Karriereleiter hinauf an dir vorbeizieht, die schnippische Kollegin, die keiner, dem sein Leben lieb ist, je um einen Gefallen bitten würde, ebenso. Dabei bist du viel qualifizierter, hast die bessere Ausbildung und meisterst ein viel breiteres Aufgabenfeld als die eben genannten. Tja, woran liegt's? Die Standard-Selbstdiagnose: Ich bin einfach zu gutmütig und darum kommt jeder mit seinen Wehwehchen und Aufgaben, die halt keiner machen will zu mir und ich mach's auch noch! Und keiner schätzt's! Und die selbstzusammengeschusterte Lösung: Ich werde jetzt auch n Arsch! >>Als ob du das könntest!<<
Schön, du hast jetzt also erkannt, dass es dich nicht weiterbringt, wenn du anderen die Arbeit abnimmst und dir selbst ganz viel aufladest. Diese Erkenntnis ist der erste Schritt! Und jetzt? So wichtig die Erkenntnis ist, wenn du hier aufhörst, kannst du sie gleich in die Tonne treten. Der Startschuss ist noch nicht das Ziel! Wenn du jetzt nix weiter draus machst, war die Erkenntnis umsonst. Außer, dass du jetzt nicht mehr auf alle anderen böse bist sondern auf dich selbst. >>überarbeitet, angefressen, böse auf sich selbst<< Keine günstigen innere Begleiter für dein Streben nach Harmonie.
PERSPEKTIVENWECHSEL. Die, die neben dir gerade Karriere machen, sind vielleicht gar keine ignoranten, schnippischen Menschen. Die sind vielleicht genau so gutmütig wie du, nur halt eben auch zu sich selbst. (Ja, Ausnahmen gibt es immer.) Und vielleicht bist du gar nicht so gutmütig wie du denkst, vielleicht bist du einfach nur süchtig nach Anerkennung und machst das alles, damit endlich mal wer sagt: "Wow, super! Vielen, vielen Dank, das hast du toll gemacht!" Das ist menschlich und normal! Wenn dein Arbeitsumfeld allerdings - aus welchen Gründen auch immer - nie oder zu wenig Lob und Dank und Anerkennung in deine Richtung versprüht, brauchst du neue Quellen, deinen Selbstwert zu stärken. Auf die äußeren Faktoren ist da eben nicht immer Verlass. Wertschätzung zu zeigen kommt in der Unternehmenskultur leider oft zu kurz und manchmal so, dass es nicht für jede/n spürbar ist. Du kannst natürlich solange die Firma wechseln, bis du endlich ein liebes Umfeld gefunden hast oder du stärkst dich anders. >>Das ist übrigens ansteckend!<< Und auch bei den nettesten, coolsten Mitarbeitern und Vorgesetzten kriegt die extra Arbeit zunächst diejenige, die sich anbietet, dann die, die schüchtern rüberkommt, dann die nie protestiert und sich vielleicht noch für's entgegengebrachte Vertrauen bedankt und dann die, die meint, ihr seid eh alle zu blöd, das zu machen. Erst wenn diejenigen grad alle krank sind, wird auf Augenhöhe aufgeteilt. Sieh zu, dass du nicht einen dieser Charaktere verkörperst und schon gar nicht alle in einer Person! >>Ertappt?<<
Anm.: Ich hätte gendergerecht ja echt gerne "die- oder derjenige" geschrieben. Die Berichte, die ich hier (okay, ein bisschen überspitzt) zu einer Story zusammengefasst habe, stammen allesamt von Frauen.
PS: Wenn das auf dich zutrifft, hol einen Coach. Du musst nicht mich nehmen. Was du allerdings musst: Achte darauf, einen "echten" Coach zu finden. Zertifizierte Coaches, die im Bereich psychologische Beratung tätig sind, arbeiten in Österreich unter dem streng reglementierten Gewerbe der Lebens- und Sozialberater. Ein weiterer Indikator ist der Hinweis akad. Coach oder es steht irgendwo MSc Mentalcoaching. Bei denen ist sichergestellt, dass sie auf eine mehrjährige Ausbildung zurückgreifen und zertifiziert sind und somit kannst du dich ganz entspannt auf das Coaching einlassen. Sie sind natürlich der Verschwiegenheit verpflichtet. Mehr dazu auf lebensberater.at
Kommentar schreiben